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Das Fest der Bären

DAS FEST DER BÄREN

Bären sind im Kanton Bern allgegenwärtig. Man findet sie auf Fahnen, T-Shirts, als Souvenirs, in der Werbung und vieles mehr. Es ist also keine Überraschung, wenn sie auch an SCHÜTZENFESTEN teilnehmen.

Text und Bilder: Ludovico Zappa, Schützenmuseum Bern

Anthropomorphismus – die Übertragung menschlicher Eigenschaften auf Aussermenschliches – ist das Grundkonzept, das den britischen Streetart Künstler Bansky zu seinem 2009 entstandenen Gemälde «Devolved Parliament» inspiriert hat. Das Werk stellt das Common House des englischen Parlaments dar, besetzt von nachdenklichen und unentschlossenen Affen: eine klare und satirische Neuinterpretation des politischen Chaos, das in jenen Jahren herrschte. Das Gemälde wurde im Oktober 2019 und damit mitten in der Brexit-Verhandlung für fast 10 Millionen Pfund versteigert.

Es ist nicht neu, dass in der Kunst Tiere dargestellt werden, die menschliche Tätigkeiten ausüben. Ein Beispiel dafür sind die Werke des Schweizer Künstlers Henry Fischer-Hinnen (1844-1898), der vor allem für seine Abbildungen von Schweizer Volksfesten und Landschaften bekannt war. Sein Hauptmerkmal war es, Menschen durch Bären zu ersetzen. Dieser besondere Stil brachte ihm den Spitznamen «Bären-Raffael» ein. Anlässlich des 31. Eidgenössischen Schützenfestes 1885 in Bern beauftragte das Organisationskomitee den Künstler denn auch mit der Gestaltung eines Souvenir-Büchleins mit charakteristischen Darstellungen des Schützenfests. Das Resultat wurde in der offiziellen Festzeitung so beschrieben: «Das Büchlein erzählt uns in 12 Bildern und ebenso vielen gut berndeutschen Doppelversen die Abenteuer eines […] Mutzen während seines Festbesuches und ist gar amüsant zu sehen und zu lesen. […] Fischers Bären sind eben nicht nur Bären, in ihnen ist zugleich in drastischer Weise der Typus des richtigen Berners, des Mutzen ausgesprochen.» So erscheint der Bär bei jeder Gelegenheit: beim Schiessen, beim Feiern und sogar beim Gelage in guter Geselligkeit.

Bern und Bären: eine Liebesgeschichte
Die Stadt Bern soll der Legende nach ihren Namen wegen einer Jagdbeute erhalten haben. Stolz schreitend ist er auf dem Kantonswappen präsent, das seit dem 12. Jahrhundert an die Gründung erinnert. Der erste Bärengraben ist bereits 1513 dokumentiert. Als mächtiges und gefährliches Wildtier verkörperte er stets auch den Wehrgeist der Stadt und Republik Bern. Entsprechend eng ist die Beziehung zwischen den Bernern und dem Bären: «Es erscheint mir mehr als gewiss, dass die vielen Vergleiche des Berners mit seinem Wappenthier und halben Namensvetter, so eine Art geistiger Verwandtschaft zwischen den Beiden hervorrief. Unsicher ist noch, ob der erstere vom letztern, oder umgekehrt, gute und üble Eigenschaften angenommen habe» (offizielle Festzeitung). Auch heute noch hat der Bär einen hohen Symbolwert und grosse Bedeutung für die kulturelle Identität. In Bern sind Bären allgegenwärtig: Es gibt sie im Uhrspiel am Zytglogge, als Fassadenschmuck oder als Brunnenfiguren, aber auch aus Schokolade oder als Lebkuchenverzierung.

Zwei Werke von Henry Fischer-Hinnen: In der Festszene des Eidgenössischen Schützenfests Bern 1885 feiern Bären anstatt Menschen (links). Auch im Büchlein «Erinnerung an das Eidgen. Schützenfest in Bern 1885» ersetzen Bären die Menschen (rechts oben).

Bären, Werbung und Schiessen
Die Idee, Bären für Werbezwecke zu verwenden, war nicht nur höchst patriotisch, sondern auch finanziell erfolgreich. Der französische Karikaturist John Grand-Carteret (1850-1927) rezensierte ein solches «Bärenalbum» Fischer-Hinnens in seiner Schrift «Die Sitten und Carricaturen in Deutschland, Oesterreich und der Schweiz»: «Fischer-Hinnen hat mit Recht gedacht, dass der Bär, welcher auf den Brunnen und Monumenten der Bundesstadt thront, welcher auf den Kantons- und Stadtwappen, auf den Schnitzwaren und Bildern, wie den Gewürzbroden (Lebkuchen) usw. figuriert, ferner einen ganz hervorragenden Platz einnimmt in den decorativen Malereien der Volksfeste, und so sah man dann, da der Erfolg seinem Versuche entsprochen hatte, unter den alten Arcaden (Lauben) Bern’s bald nichts mehr als Bären aller Arten und Formate, in Photographie und Lithographie reproduziert.» Die 50 Cts. teuren Erinnerungsbüchlein am Schützenfest waren rasch ausverkauft. Dies war jedoch nicht die einzige glückliche Schöpfung des Künstlers. Auf Leinwand malte er zwei typische Szenen des Schützenfestes: das Konzert und das Festessen. Eine Reproduktion des Letzteren ist im Schützenmuseum ausgestellt, während das Original im bernischen historischen Museum aufbewahrt wird. Die Szene in der Festhalle ist lebendig. Überall gibt es Bären. Sie diskutieren, trinken, essen, stossen an, feiern oder lassen sich feiern. Im Vordergrund kratzt einer an der Wange einer Kellnerin, zwei Bärenkinder raufen auf dem Boden und aus der Ferne kommt ein ganzer Triumphzug mit musikalischer Begleitung, die dem Gewinner des grossen Pokals huldigt. Der Sieger wird auf den Schultern getragen, in den Pranken hält er den Pokal, dessen Sockel ebenfalls als Bär ausgestaltet ist. Vermittelt wird ein Gefühl der Kameradschaft und Geselligkeit, das für Schützenfeste so typisch ist, sind sie doch viel mehr als reiner Wettkampf. Die Szene mag chaotisch erscheinen, aber sie war als künstlerische Wahl gerechtfertigt. «Wie der Dichter in einer glücklichen Zeit das Lamm als friedlichen Gast des Wolfes darstellt und den Löwen mit der Gazelle Schmollis an den Ufern des Kongo trinken, den Tiger zur treuen Hauskatze in der Gangesebene werden lässt, so kann auch der Künstler den Bären mit Serviette und Zapfenzieher,[…] handtieren lassen» (offizielle Festzeitung).

Obwohl das Gemälde in mancher Hinsicht übertrieben erscheinen mag, bietet es einen Einblick in die damalige Gesellschaft. Die Schützenfeste hatten, mit den unzähligen eidgenössischen Fahnen und reich verzierten Bauten, einen patriotischen Charakter. Das Schiessen war zu dieser Zeit mit wenigen Ausnahmen den Männern vorbehalten. So tragen auf dem Bild nur die männlichen Bären Waffen. Während die Männer feiern und trinken, nehmen die wenigen Bärendamen eine würdevollere Haltung ein: Sie sitzen, reden miteinander oder halten ihren Nachwuchs unter Kontrolle. Obwohl sie ein Glas Wein vor sich haben, trinken sie nicht, während die Männer gerade das in grossen Massen aus Krügen oder den gewonnenen Schützenbecher tun. Die einzige Diensttätigkeit wird ebenfalls von einer weiblichen Figur übernommen: Wackere Schützen an Schützenfesten zu bedienen wurde oft und gerne auch in der Realität den Frauen überlassen, die für diese Aufgabe als geeigneter und zuverlässiger angesehen wurden.

Die Bären haben die Geschichte des Kantons Bern und seiner Hauptstadt begleitet und begleiten sie auch heute noch. Wer weiss, was sie bei ihrem nächsten eidgenössischen Schützenfest tun werden?

Literatur:

  • Henri-Fischer Hinnen: Erinnerung an das Eidgen. Schützenfest in Bern 1885, Druck v. C.L. Wehrliti, 1885.
  • John Grand-Carteret: Les Mœurs et la caricature en Allemagne, en Autriche, en Suisse, 1885.
  • Katrin Rieder, Lina Gafner: Berner Bär, Online-Artikel aus Lebendige Traditionen , www.lebendige-traditionen.ch/traditionen/00061/index.html?lang=de&version=full, 2018.
  • Offizielle Festzeitung für das Eidgenössische Schützenfest Bern 1885.

Absender: Magazin «Schiessen Schweiz»